Feuer

Störfälle sind es seit jeher, die Wolfgang Petricks künstlerische Arbeit anstoßen und ihn zu einer eher kommentierenden als dokumentierender Stellungnahme veranlassen. Sein den Ausspruch eines amerikanischen Feuerwehrmannes zitierendes Projekt Fire is a good slave, but a bad master entsagt der unmittelbaren Demonstration von physischer und psychischer Gewalt, individueller Beschädigung und Verletzlichkeit, von denen seine Gemälde und Assemblagen ein Bild zu vermitteln suchen. Petricks bisheriges Schaffen ist voll von grotesk deformierten Fratzen, Zerrbildern und lebensfremd anmutenden gesellschaftlichen Projektionen, die auf zeitgemäße Weise an realistische Strömungen der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts ebenso wie an dadaistische und surreale Konzepte anknüpfen. Diese Fährte manifestiert sich auch in seinen Skulpturen und environmentalen Installationen, die sich - bestückt mit objets trouves unterschiedlichster Provenienz und formal als chaotische Ensembles entworfen - als inhaltlich durchdachte Konstellationen offenbaren. Sie sind als Organismen zu verstehen, die jene Fäden weiter spinnen, die sich im Kontext der Malereien entwickeln. Petrick, der, auch in seinen Publikationen, immer wieder auf Bilder und Situationen verweist, die seine Arbeit beeinflussen, montiert, was ihm ins Auge fällt, falls es ihm im Zusammenhang mit seinem momentanen Tun von Belang scheint. Eine Schaufensterpuppe, behelmt, attackiert und verletzt, findet sich in einem Gewirr von Objekten, die das traumatische Erleben eines Bombenangriffs anrühren; ein Krokodil versucht sich in einer von terrassenartig angelegten Glasaufbauten gestützten Konstruktion zu behaupten.

Schutzhelme, Gasmaske, Bruchstücke menschlicher Körper, große Glassplitter ragen angriffslustig aus dem Boden - und inmitten dieses chaotischen Arrangements überrascht eine ausgelegte, kleinformatige Anamorphose mit dem dazu gehörigen Spiegelzylinder, dessen klare Gestalt sich wie ein ruhender Pol von den andrängenden Objekten abhebt. Die drastische Aggressivität der dreidimensionalen, in Schaukästen installierten Objektgruppen entspricht der (expressiven Bildsprache früherer Gemälde, während sie im vorliegenden Zyklus weitgehend zurückgenommen ist und einer verhaltenen, unterschwellig spürbaren Dynamik Platz gemacht hat, die der aus kritischer Distanz beobachteten Thematik entspricht. Andersartige Erfahrungen, zumal beeinflusst durch häufige Aufenthalte in New York - wo Petrick ein Atelier unterhält - beeinflussen die Auffassung von der Ikonographie einer Großstadt und eine adäquate Ausarbeitung der Werke.

Mit Fire is a good slave, but a bad master betritt Petrick ein neues Terrain. Obwohl er sein Arbeitsprinzip, mimetisch erfasste Wirklichkeit zu verfremden, treu bleibt, verzichten seine Arrangements auf die direkte Formulierung des Schreckens; vielmehr gilt seine ganze Aufmerksamkeit katastrophalen Ereignissen, die vonstatten gegangen und deren Folgen unabsehbar sind. Als Metapher dient ihm die Präsenz von Feuerwehren an den Orten der Zerstörung oder auch das Löschfahrzeug als gleichnishaftes Erinnerungsbild. Bewegt durch die persönliche, vor Ort erlebte Erschütterung angesichts der Ereignisse am 11. September 2001 in New York, aber auch animiert durch die Erkenntnis, dass sich der das Desaster begleitende Einsatz von Hilfskräften als eindrucksvolles ikonographisches Vehikel für seine verschlüsselte künstlerische Aussage nutzen läßt, wählt er diesen mittelbaren Weg. Fundamentale Ängste, beschädigt zu werden, und Bedürfnisse - nämlich in case of emergency Hilfe zu erfahren - werden angesprochen, ohne dass vordergründig brisante, im Grunde jedoch banale Visionen von Horrorszenarien entworfen würden. Petricks Anspielungen genügen, beständig ins Bewusstsein zu rufen, dass jede Katastrophe an die Endlichkeit des eigenen Seins gemahnt.

Indem er eine verkupferte, Prometheus symbolisierende Figur in eine Assemblage einfügt oder dessen Namen auf ein Bild schreibt, erinnert Wolfgang Petrick zugleich an jene antiken Schöpfungsmythen, die den Ruf des Feuers als good slave begründeten, ohne seine verheerenden Eigenschaften zu leugnen, denn als Reaktion auf Prometheus' Geschenk an die Menschen ließ Zeus Pandora erschaffen, die Krankheit, Sorgen und Krieg in die Welt brachte. Neben den Elementen Erde, Wasser und Luft gilt das als potent begriffene Element seit Jahrtausenden als verantwortlich für den Ursprung des Lebens und seinen substanziellen Inhalt. Es wärmt und leuchtet, spendet Energie, steht gleichnishaft für Liebe und Begehren, vermag aber auch Schmerz und Gewalt, Vernichtung und Tod zu bringen. Heraklit von Ephesus beschrieb den Kosmos als Feuer, Weltbrand, Fegefeuer und Apokalypse zählen zu den Schreckensvorstellungen der Menschheit und im Iran und Indien wurde das Feuer als Gottheit verehrt. Da der Mensch fähig ist, es - im Gegensatz zu den anderen Elementen - selbst zu erzeugen, entstand die Auffassung, dass dieses Geheimnis den Göttern entrissen worden sei. "Die Kulturtechniken der Feuernutzung sind wesentlich älter als die Gottheiten, die als Personifikationen des Feuers verehrt wurden. Die Mythen vom Feuerdiebstahl blieben wohl auch deshalb so populär, weil sie diesen Widerspruch erkannten und auflösten: Menschen - genauer: Zwischenwesen, 'Trickster', die zwischen Himmel und Erde reisen konnten - stahlen das göttliche Feuer, um es in ihre Stadt zu bringen und die Bewohner im Gebrauch des Feuers zu unterweisen."(1) Stets war die Geschichte der Stadt jedoch auch die Geschichte ihrer Brände und ihrer Bekämpfung. Da die Menschen in der Antike und im Mittelalter vorwiegend in leicht entflammbaren Behausungen lebten, konnte nur wenig gegen die zerstörerische Kraft von Feuersbrünsten ausgerichtet werden. Selbst Beschwörungsformeln oder das symbolische Ausschütten von Wasser sobald das Wort ignis ausgesprochen wurde, sollten dem vorbeugen. Feuerwehren, wie sie während der römischen Kaiserzeit entwickelt wurden, gab es im Mittelalter nicht - man begnügte sich damit, brennende Häuser mit Weihwasser zu besprengen, da der Brand als Strafe Gottes angesehen wurde.(2) Bis auf den heutigen Tag spielen Feuersbrünste trotz eines intensivierten Brandschutzes im urbanen Raum eine Rolle in der Architekturgeschichte und werden insbesondere in Ballungszentren als physische Bedrohung empfunden, wie die allgegenwärtigen Feuerleitern an amerikanischen Stadthäusern beweisen. "Death is not on the agenda" meldet die Sprechblase der zu Tode stürzenden Protagonistin eines Comics.(3)

An zentrale Stelle auf seinen Gemälden und überarbeiteten Pigmentdrucken rückt Petrick Feuerwehrwagen des von Trivialmythen glorifizierten New Yorker Fire Department, deren bizarre Schönheit er vor schäbige urbane Kulissen positioniert. Dabei schöpft Petrick aus dem Rohstoff-Fundus seines umfangreichen fotografischen Skizzenbuches, das prägende Bilder und Informationen dem Vergessen entreißt. Diese Arbeitsweise ist Voraussetzung für eine kombinatorische Methode, die ihm erlaubt, Fragmente und Faktoren miteinander zu verbinden und in neue Zusammenhänge zu fügen. Daraus resultiert eine gestaffelte Mehrschichtigkeit der Komposition und räumliche Indifferenz, die keine Fixierung auf das lokale Ereignis zulassen, sondern die Allgemeingültigkeit des Gezeigten unterstreichen. Die Löschfahrzeuge entpuppen sich in der Nahsicht als monströse Gebilde, die bedrohlich und klaustrophobisch wirken und deren geballte Energie zugleich Hilfe verspricht. Sind ihre hydraulischen Stelzen ausgefahren, um ihnen beim Einsatz Halt zu geben, wenn ihre Hubkraft die Leitern mit ihrem Korb ausfährt, ähneln sie ungelenken, vielfüßigen science-fiction-Vehikeln. Die schräg in sich verschobenen oder en face gegebenen Wagenfronten erinnern an individuelle Physiognomien, die sich aus vielfältigen Versatzstücken wie Kühlergrill und Scheinwerfern zusammensetzen. Ohne sich bei der Schilderung von Details zu verlieren, wie es wohl ein Fotorealist angesichts derartig verschachtelter Karosserien tun würde, wie sie derartiges Gerät ummanteln, beschreibt er die rote komplexe Hülle als wuchtige Masse. Kaschierte Werkzeuge oder Sprungpolster sind lediglich erahnbar. Allein in den Aufbau integrierte Drehleiterkonstruktionen und Schlauchsysteme werden, freilich unabhängig vom rationalen Gebrauch, ins Bild gesetzt. Ihre Linien und Volumina strukturieren Rest- und Zwischenräume der Gemälde, ausgefahrene Teleskopleitern lassen zudem den Gedanken an formal ähnliche Raketenabschussrampen aufkommen, zerstörerische Maschinen, deren Einsatz genau das bewirkt, was Rettungsfahrzeuge erst notwendig macht. Nicht von ungefähr scheint es eine Rakete zu sein, die - aus dem Nichts kommend - den Brand einer Häuserzeile auslöst; Traumbildern entrissene, glühende Wassertürme schweben wie Raumschiffe über Gebäuden. Petrick selbst zieht den Vergleich zu den beunruhigenden Gemälden Franz Radziwills, dessen düstere Himmelslandschaften von niederstürzenden Flammen und attackierenden, Sphären durchdringenden Flugobjekten durchpflügt werden. Symbole für Gewalt, Gefahr und Zerstörung sind in der Bildreihe Fire is a good slave, but a bad master allgegenwärtig, wobei es die Ahnung um die Umstände ist, die Empathie provoziert und nicht ein schockierendes Bild.

Menschen, die im bisherigen Werk Petricks im Mittelpunkt standen, tauchen lediglich als Staffage auf; ihre Funktion als Feuerwehrleute ist zwar auf Grund ihrer Schutzkleidung erkennbar, doch sie erscheinen inaktiv, betrachten das Geschehen oder machen sich an ihren Löschfahrzeugen zu schatten. Anstatt den Sensationscharakter einer Löschaktion herauszustellen, indem er eine Ansammlung bewehrter Personen im Kampf gegen die Flammen zeigte, richtet sich das Interesse auf Personen, die geschäftig und merkwürdig gelassen zugleich ihren Aufgaben nachgehen, wodurch sich ein sublimes Gefühl der Beunruhigung und Hilflosigkeit einstellt, weil klar wird, dass das Ereignis bereits stattgefunden hat. Zwar spiegelt sich Feuerschein in den Frontscheiben von Fahrzeugen, vereinzelte Flammenbündel schlagen aus den Häusern und Rauchschwaden stauen sich über der Szenerie, doch wird auf dramatische Effekte verzichtet. Die Gefährdung bleibt allerdings erahnbar, weil das gesamte, auf wenige Farben reduzierte Kolorit - ein dominantes Rot, ein leuchtendes Orange und differenzierte Schwarz- und Grauwerte - die erhitzte, von Russpartikeln und Staub durchsetzte stickige Luft geradezu spürbar werden lässt. Ein indifferentes fahles Licht liegt über diesen Szenen. Rhetorisch steigern perspektivische Effekte Architekturen ins Monumentale, von versengten Deckenbalken hängen Materialfetzen herab, wie sie nach Löscharbeiten zu sehen sind, wenn aus aufgebrochenen Zwischendecken Füllmaterial quillt. Überblendungen und Montagen suggerieren in der Realität unmögliche Raum- und Zeitbezüge.

Partien der Darstellungen werden wiederholt durch irritierende Deformationen und Brechungen verfremdet. Man meint, Fassaden, Personen oder technische Elemente in einem Zerrspiegel zu sehen. Diese technische Finesse verselbstständigt sich in einer inhaltlich verwandten, parallel entstandenen Bildfolge, bei der sich Petrick - nun im großen Format - dem Thema mit den Mitteln der Anamorphose nähert und Aussagen optisch verschlüsselt. Seit der Entdeckung der Zentralperspektive fand dieses Verfahren Verwendung, um einerseits Fertigkeit und Einfallsreichtum ihrer Schöpfer zu belegen, aber auch um erotische oder politische Mitteilungen zu chiffrieren. Was vom Blickpunkt eines Betrachters aus verzerrt erscheint, kann aus einem anderen Winkel betrachtet deutlich erkennbar sein; weil die Deformation perspektivischen Gesetzmäßigkeiten folgt. Die auf den ersten Blick verborgene Bild-Botschaft muss also jenen, die nicht mit der Codierung vertraut sind, rätselhaft bleiben. Konische oder zylindrische Spiegel-Anamorphosen, wie Petrick sie gedehnt und gedrängt malt, offenbaren zwar ihre wirkliche Gestalt nur in reflektierenden aufgesetzten Rundspiegelsäulen, dennoch gehen diese Vexierbilder ihrer verunsichernden Ausstrahlung nicht verlustig.

Wolfgang Petricks Arbeit war nie gültig einzuordnen; alle Versuche, ihn aktuellen Gruppierungen zuzuordnen, mussten fehlschlagen. Seine jüngsten Werke belegen, dass er, von ästhetischer Neugier geleitet, unentwegt an neuartigen Konzepten arbeitet, um seine autonome Kunst fortzuentwickeln.

Jürgen Schilling

(1) Thomas Macho, Weltenbrand und Feuerwerk - Ein pyrohistorisches Panorama, Neue Zürcher Zeitung, 27. Dezember 2003

(2) Vgl. Anmerkung 1

(3) Yiu-in-hell, in Heavy Metal, September 2001, vgl. Otto Karl Werkmeister, Ästhetik der Apokalypse, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.Januar 2002